Hurerei - History
Sex in den Siebzigern

Backstage bei der Peepshow




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Kai Greiser

Striptease im Schaukasten: Nackte Schönheiten räkeln sich auf Drehbühnen, Männer gaffen durch die Sehschlitze anonymer Kabinen - Ende der siebziger Jahre überrollten Peepshows deutsche Innenstädte. Fotograf Kai Greiser gelang damals ein seltener Blick hinter die Kulissen des Sex-Business.

Auf Motivsuche für eine Reportage stromerte ich Anfang Januar 1979 durch das Viertel hinter dem Hamburger Hauptbahnhof. Schon damals stießen Hochkultur, Weltläufigkeit und Rotlichtmilieu an wenigen Orten so krass aufeinander wie hier, im kunterbunten Szenestadtteil St. Georg. Das Deutsche Schauspielhaus, berühmt geworden durch den Schauspieler Gustaf Gründgens, liegt hier, ebenso wie das exklusive Hotel Atlantic. Aber nur einen Steinwurf entfernt war die Drogenszene zu Hause und der illegale Straßenstrich am Hansaplatz.

Am Steindamm entdeckte ich zwischen türkischen Imbissbuden und Porno-Läden das "Tiffany", eine Peepshow. Das waren Sex-Schuppen, in denen Frauen auf einer kleinen, von Kabinen mit Sehschlitzen umgebenen Drehscheibe strippten, und nicht wie in einem Theater vor Publikum auf der Bühne. Diese Läden waren damals neu in Deutschland; die erste Peepshow Europas, in der sich Männer den Blick auf nackte Tatsachen durch Münzeinwurf erkauften, war 1976 in München eröffnet worden. Die neue Art, Sex zu vermarkten, machte rasch Schule, denn sie hatte für beide Seiten Vorteile: Anonymität für die Kunden und Sicherheit vor unerwünschten Annäherungsversuchen für die Frauen.

Aber mich interessierte nicht der Blick durch das Guckfenster, welches eine Klappe für 'ne Mark pro Minute freigab. Ich wollte lieber einen Blick hinter die Kulisse des "Tiffany" werfen, auf dessen Bühne sich zwischen morgens um halb 10 Uhr und Mitternacht nackte Frauen räkelten. Als Kind hatte ich oft Zeit in der Umkleide des Schauspielhauses gleich um die Ecke verbracht; meine Mutter, die dort als Schauspielerin und Komparsin aufgetreten war, hatte mich und meine Schwester oft mitgenommen, damit wir abends nicht immer alleine waren. Unter all den halbnackten Frauen, die in Kostüme schlüpften und sich vor den Spiegeln schminkten, hatte immer eine entspannte, lustige Atmosphäre geherrscht, in der ich mich als kleiner Junge wohlfühlte.

"Warum nicht?"

So hatte ich keine besondere Scheu, mich jetzt als Erwachsener auf eine ähnliche Situation einzulassen. Ich sprach den Geschäftsführer des "Tiffany" an und bat um seine Erlaubnis, für eine SPIEGEL-Reportage hinter den Kulissen seines Etablissements fotografieren zu dürfen. Der Zutritt zum Aufenthaltsraum, in dem die Aktricen ihre Wartezeit zwischen den fünfminütigen Kurzauftritten verbrachten, war für Männer normalerweise strikt verboten - das war ja gerade das Grundprinzip der Peepshow: dass Männer die Frauen zwar begaffen und begehren durften, aber eben nie in ihre Nähe kommen konnten. Die Scheibe blieb immer zwischen ihnen. Der junge Manager erwies sich als aufgeschlossen. "Warum nicht?", war seine Reaktion, "Wenn die Frauen damit einverstanden sind."

So stellte er mich den Tänzerinnen vor. Es waren Hausfrauen und Ex-Sekretärinnen, Zahntechnikerinnen und Studentinnen, Rechtsanwaltsgehilfinnen und Fremdsprachenkorrespondentinnen, die hier mit ihrer nackten Haut ihr Geld verdienten. Wohl, weil es keinen direkten Kontakt mit den Kunden gab, arbeiteten hier auch Frauen, die man im Sexgewerbe sonst eher nicht traf. Künstlernamen hatten sie alle: "Biene" und "Gigi" zum Beispiel, oder "Blondie" und "Lany". Und ich hatte Glück bei ihnen - die Frauen aus dem "Tiffany" hatten nichts dagegen, dass ich, der Fotograf, mich bei ihnen hinter den Kulissen aufhielt und sie ablichtete. Warum sie bei mir eine Ausnahme gemacht haben, weiß ich nicht - ich vermute, dass diese Mädchen ein durchaus feines Gespür für die Absichten von Männern hatten.

Natürlich hatten sie zunächst eine gewisse Scheu vor meiner Kamera, agierten verhalten. Ich versuchte, die Distanz abzubauen, indem ich für sie einkaufen ging und sie mittags mit Snacks aus den gegenüberliegenden Imbissen versorgte. Ein paar Tage blieb ich erst einmal nur stiller Beobachter, bis sich die Tänzerinnen an mich gewöhnten und nach und nach unbefangener wurden.

Farblich geordnete Anmache

Um die Atmosphäre nicht zu stören oder zu verfälschen, fotografierte ich ausschließlich ohne Blitz und mit hochempfindlichen Filmen. Schon nach ein paar Tagen konnte ich behutsam etwas Regie führen, sie um bestimmte Posen bitten. Auf der verspiegelten, in schummriges Rotlicht getauchten Mini-Drehbühne oder in der sogenannten Solobox, in der ein Mädchen für einen einzigen Mann tanzte, hatten die Frauen ihren Spaß. Aber im Gegensatz zum künstlichen Verführungstheater vor den Männern hinter den Gucklöchern waren sie im Hinterzimmer ganz sie selbst. Sie standen oder saßen dem Fotografen lässig und entspannt Modell, ob beim Duschen, Schminken, Telefonieren, Nähen oder Studieren.

An der Wand des Aufenthaltsraums hing ein DIN-A4-Zettel mit bunten Namen, der mich faszinierte: Hier trugen sich die Frauen nach jedem Auftritt mit ihrem Künstlernamen ein. Aus der Abfolge der Namen entstand auf dem Blatt durch den Rhythmus der fünfminütigen Auftritte ein farbenfrohes Muster, das die sexuelle Anmache geschäftlich ordnete. Es war der Ablauf der Tagesschicht, nach dem jeden Tag abgerechnet und ausgezahlt wurde. Pro Auftritt gab es fünf D-Mark, für einmal Solobox zwei Mark - plus ein etwaiges Trinkgeld, zugesteckt über die halbhohe Scheibe.

Zu meinen Fotos, die über einen Zeitraum von zwei Wochen entstanden, schrieb SPIEGEL-Autorin Ariane Barth eine lesenswerte Sozialreportage, die eigentlich als Titelgeschichte geplant war. SPIEGEL-Herausgeber Rudolf Augstein selbst bat mich in sein Büro im 13. Stock des SPIEGEL-Hochhauses, um auf dem Schirm einer Tischlampe die Farbdias für das Titelbild zu begutachten. Dann kam ein Krieg dazwischen - chinesische Truppen waren in Vietnam einmarschiert, und das Hamburger Nachrichtenmagazin titelte lieber aktuell mit "Chinas Schlag gegen Vietnam". Die Peepshow-Reportage wanderte in den hinteren Heftteil. Vier Jahre später schaffte es eines meiner Motive aus dem "Tiffany" doch noch auf den Titel, allerdings beim Konkurrenzblatt "Stern" als Symbolbild zum Erlebnisbericht einer jungen Frau, die einen Monat in einer Peepshow gearbeitet hatte.

Schon wenige Jahre später ging die kurze Karriere der Peepshows wieder zu Ende. Im Sommer 1982 urteilte das Bundesverwaltungsgericht in Berlin, die Zurschaustellung nackter weiblicher Körper in dieser Form verstoße gegen die "guten Sitten" und verletze die Würde der Frau. Zum Jahresende 1983 erhielten die Hamburger Peepshows in St. Georg und auf St. Pauli die behördliche Aufforderung, dichtzumachen. Die Frauen gingen sogar auf die Straße, um gegen die Entscheidung zu demonstrieren - ohne nachhaltigen Erfolg. Heute, im Zeitalter des Internet-Sex, sind Peepshows nur noch eine skurrile Fußnote der menschlichen Kulturgeschichte.

Quelle: spiegel.de
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Hurerei - History - von Elmar2000 - 14.02.2011, 01:28
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