Hurerei - History
#2
Zitat:Die öffentliche Hand sorgte sich auch um die Hygiene. So mußte sich etwa der Nürnberger Frauenwirt eidesstattlich verpflichten, seinen Prostituierten neben den Zimmern, der Bettwäsche und den Speisen auch wöchentlich einmal ein Bad zur Verfügung zu stellen.

Akkurat wie im heutigen Ladenschlußgesetz waren die Öffnungs- und Schließzeiten der Gemeindebordelle geregelt. In Schlettstadt mußte jeder Gast, der abends nach dem dritten Glockenschlag noch angezogen im Frauenhaus ertappt wurde, zwei Schilling Strafe zahlen - es sei denn, er saß bereits "nacket bi einer tochter an eim Bette".

Für viele arme Jungfrauen waren die Frauenhäuser der Einstieg in einen Beruf, der nicht selten zu einer Lebensstellung wurde. Grede in Mainz war mit ihren 60 Jahren schon 44 Jahre in dem "frihen leben gewest" - Kollegin Heddewig konnte mit 41 Jahren auf 16 Jahre Berufserfahrung pochen. Die 70jährige Hebele war seit 30 Jahren im Frauenhaus tätig.

Allzu junge Mädchen, die "weder bruste noch anders hette, das dozu gehort", wurden von den Stadtknechten aufgespürt und mit Rutenschlägen bis auf weiteres "der stat verwisen".
Wer den Einstieg geschafft hatte, der konnte mancherorts mit einer für die damalige Zeit ansehnlichen Krankheits- und Altersversorgung rechnen: Arbeitsunfähige Prostituierte wurden aus einer Sammelkasse alimentiert.

Die städtisch bediensteten Dirnen hatten vielerorts zwar nicht gerade einen Beamtenstatus, aber doch fast das Ansehen einer Handwerkerzunft. Sie nahmen im Kirchengestühl ihren festen Platz ein, wurden zu Hochzeiten eingeladen und marschierten bei Prozessionen mit. In Frankfurt nahmen die kommunalen Nutten am alljährlichen Hirschessen der Ratsherren teil. Zuweilen kam es sogar zu allerhöchsten Kontakten. 1471 etwa geriet Kaiser Friedrich III. unter Nürnberger Nutten und mußte sich mit einem Gulden freikaufen. In Breslau verirrte sich 1454 König Ladislaus aus Versehen in die "Wohnung feiler Dirnen". 1513 wurde der Braunschweiger Herzog Erich I. bei einer Stadtbesichtigung in Göttingen in ein Frauenhaus "gezogen".

In den meisten städtischen Satzungen und in Landesgesetzen waren Mißhandlung, Verletzung und Vergewaltigung von Dirnen strafbewehrte Delikte. Das Recht auf den Dirnenlohn und das Recht auf Freizügigkeit und jederzeitigen Austritt aus dem Gewerbe waren ebenfalls rechtlich verankert.

Es gab für die Frauenhausmitarbeiterinnen sogar gesetzlichen Konkurrenzschutz, auf den sich zum Beispiel 1512 zwei Regensburger Frauenwirtinnen beriefen. Sie denunzierten im Rathaus 86 freie Prostituierte in der Stadt - darunter auch Frauen, "die from Eheman haben und leider auch viel Abentheuer treiben".

Acht Nürnberger Prostituierte holten sich bei Bürgermeister Markhart Mandel sogar die Erlaubnis, ein rivalisierendes Privatbordell mit Gewalt auszuheben: "Sie zerprachen die venstergläser", so berichtet die Chronik, "und schlugen die alte hurnwirtin gar greulichen."

Für freie Liebespraktiken war in diesem Kommunalklima von "law and order" so gut wie kein Platz. Sonderwünsche von Freiern, die auch nur minimal von der Missionarsstellung abwichen, wurden angezeigt und bestraft. Die Dirne Sophia Farnekap beschwerte sich über einen Gast, der ihre Beine um seinen Nacken legen wollte. Und Jörg Schlegelholz aus Ulm wurde öffentlich verbrannt, weil er Analverkehr mit einer Dirne gehabt hatte.

Michael Buser aus Nördlingen kam mit einem zweijährigen Stadtverweis davon: Er hatte lediglich "im frawenhaus einen frawen pfeffer in ire heimliche scham getan" und damit "mergklich schmerzen zugefügt".
Die Reformatoren, allen voran der Ex-Mönch Martin Luther, machten schließlich den öffentlichen Häusern den Garaus. Die Nürnberger versteckten ihr Frauenhaus zunächst hinter einem "Thor mit zweien flügeln und ein klein thürlein mit ein anhengend stein, damit jedes mal wider zufallen".

Ein Gutachten von neun Juristen empfahl den Stadtvätern schließlich, um Ärger zu vermeiden, die Schließung des Kommunalpuffs. Der Frauenwirt mußte, so die Anweisung, "alle weiber, die er bey im hab, inn zwaien tagen vonn sich unnd aus der statt schaffen".

So nobel ging es nicht überall her. In Freiburg etwa wurden die "Hurenmaide", in Hannover ertappte Freier an den Pranger gestellt.
Willkommene Hilfe bekamen die Prostituierten lange Zeit von der katholischen Kirche. Papst Pius II. (1458 bis 1464) etwa war ein eifriger Befürworter der kommunalen Unzuchtstätten. Die vatikanische Wende kam erst hundert Jahre später unter Pius V. Die Frauenhäuser galten fortan auch den Katholischen als "Institutum diaboli".

Die Einfältigen, erläuterte eine Pastoral-Urkunde der Diözese Köln anno 1591 den verspäteten Schwenk, könnten "in die Gedanken kommen, das huhrerei kein sünde sey, weill sie von der Oberkait dermaßen offentlich zugelassen wirtt".
Das Verdikt gilt bis heute.

_______________

(*) Peter Schuster: "Das Frauenhaus. Städtische Bordelle in Deutschland (1350-1600)".

Quelle: Spiegel, 24.08.1992
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
Hurerei - History - von Elmar2000 - 14.02.2011, 01:28
RE: Hurerei - History - von Elmar2000 - 14.02.2011, 01:36
RE: Hurerei - History - von Elmar2000 - 22.02.2011, 19:34
RE: Hurerei - History - von carolusmagnus - 24.02.2011, 20:11
RE: Hurerei - History - von Elmar2000 - 23.02.2011, 13:41
RE: Hurerei - History - von Elmar2000 - 24.02.2011, 19:47
RE: Hurerei - History - von Elmar2000 - 28.02.2011, 18:00
RE: Hurerei - History - von Elmar2000 - 03.03.2011, 17:54
RE: Hurerei - History - von Elmar2000 - 04.03.2011, 21:26
RE: Hurerei - History - von Elmar2000 - 07.03.2011, 00:00
RE: Hurerei - History - von Elmar2000 - 26.03.2011, 14:38
RE: Hurerei - History - von Stuart - 26.03.2011, 15:39
RE: Hurerei - History - von carolusmagnus - 26.03.2011, 15:57
RE: Hurerei - History - von carolusmagnus - 27.03.2011, 18:13
RE: Hurerei - History - von carolusmagnus - 27.03.2011, 18:35
RE: Hurerei - History - von carolusmagnus - 27.03.2011, 19:06
RE: Hurerei - History - von carolusmagnus - 27.03.2011, 19:07
RE: Hurerei - History - von carolusmagnus - 29.04.2011, 19:08
RE: Hurerei - History - von carolusmagnus - 29.04.2011, 19:09
RE: Hurerei - History - von carolusmagnus - 29.04.2011, 19:20
RE: Hurerei - History - von Elmar2000 - 27.05.2011, 13:21
RE: Hurerei - History - von Elmar2000 - 22.06.2011, 19:25
RE: Hurerei - History - von Elmar2000 - 25.06.2011, 16:46
RE: Hurerei - History - von Elmar2000 - 30.07.2011, 20:21
Hurerei - History - von R.-heimer - 31.07.2011, 12:01
RE: Hurerei - History - von Elmar2000 - 03.02.2012, 16:35
RE: Hurerei - History - von carolusmagnus - 03.02.2012, 19:02
RE: Hurerei - History - von carolusmagnus - 03.02.2012, 19:20
RE: Hurerei - History - von Elmar2000 - 08.04.2013, 13:51
RE: Hurerei - History - von Elmar2000 - 08.04.2013, 16:03
RE: Hurerei - History - von Elmar2000 - 08.04.2013, 17:21
RE: Hurerei - History - von tenderhand47 - 09.04.2013, 09:41
RE: Hurerei - History - von Elmar2000 - 10.04.2013, 12:27
RE: Hurerei - History - von loewe - 10.04.2013, 12:50
RE: Hurerei - History - von Elmar2000 - 17.04.2013, 14:44
RE: Hurerei - History - von Elmar2000 - 19.04.2013, 18:30
RE: Hurerei - History - von Elmar2000 - 20.04.2013, 19:56
RE: Hurerei - History - von Elmar2000 - 24.04.2013, 12:28
RE: Hurerei - History - von Stuart - 24.04.2013, 14:10
RE: Hurerei - History - von Elmar2000 - 30.04.2013, 19:21
RE: Hurerei - History - von Elmar2000 - 29.05.2013, 16:55
RE: Hurerei - History - von Elmar2000 - 22.12.2014, 16:36