Hurerei - History
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Hab zu dem Thema - die Geschichte der Hurerei - keinen Thread gefunden. Deshalb mach ich mal nen neuen auf.

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Das "süntlich werck" im "Schanthaus" oder:

Wenn sich die Männerwelt "ihrer bösen lust auß mangel deß gemeinen haußes nicht entschütten könnte"

Zitat:Ein Vierteljahrtausend lang florierten in Deutschland die "Frauenhäuser" - kommunale Bordelle mit zunftartigem Status.

Andere Städtchen, andere Mädchen. Mit roten Schleiern (in Köln) oder blauen Bändern (in Leipzig) lockten die "gemainen frouwelin". Und überall moderate Gebühren: Zwei Pfennig, soviel wie ein Pfund Kalbfleisch, kostete ein Schäferstündchen, fünf Pfennig die ganze Nacht. Gute alte Zeit?

Inmitten einer anrüchigen Nachbarschaft von Henkern, Totengräbern und Brechbadern gab es kargen Komfort "auf Stroh" in armseligen Hütten. Laut alten Chroniken bedrohte die "frantzösische mala" Frauen wie Freier. Dem "Hurenmaister" machten überdies "vil gewalttaten und toitslege" (Totschlag) zu schaffen. Finsteres Mittelalter?

Zwischen den beiden Extremen pendelte ein Langzeitversuch in Sachen Libido. 250 Jahre lang, von 1350 bis 1600, kümmerten sich die Städte und Gemeinden in Deutschland nicht nur um Schulen und Spitäler, Müll und Abwasser, sondern auch um die Kanalisierung der Liebe und Triebe.
Wandergesellen, reisende Singles und Studenten sollten ein Ventil finden - und ehrbare Bürgerinnen und deren Töchter möglichst unbehelligt lassen. Wenn sich die Männerwelt "ihrer bösen lust auß mangel deß gemeinen haußes nicht entschütten könnte", so sorgten sich etwa die Nürnberger Ratsherren, möchte es am Ende "vill mehr unraths geben".

Allerorts herrschte die vom Heiligen Augustinus bereits im vierten Jahrhundert entwickelte Toleranz-Theologie gegenüber der Prostitution - zur Vermeidung "merer uebels". Zweieinhalb Jahrhunderte lang organisierte die klerikale und kommunale Bürokratie die Ware Liebe, bis sie unter dem Druck der Reformation wieder ins Zwielicht am Rande der Gesellschaft zurückgedrängt wurde.

Über Brauch und Mißbrauch in den mittelalterlichen Frauenhäusern geben alte Ortschroniken, Berichte von Reisenden und die kommunalen Arbeitsverträge mit den Wirten und Wirtinnen der Bordelle Auskunft, mit oft drastischen Details.

Der Bielefelder Historiker und Mathematiker Peter Schuster, 35, hat über hundert Kommunalarchive zwischen Augsburg und Zwickau durchforstet. Bei der "Umwälzung der Literaturmassen" fand er freilich nirgendwo "überschäumende Sinnenfreude" oder gar "hemmungsloses Ausleben der männlichen Sexualität", dafür um so mehr altdeutsche Bürokratie (*).

Das "süntlich werck" im "Schanthaus" wurde mit penibler Gründlichkeit verwaltet. Mancherorts klang der alljährliche Eid des Frauenhauswirts wie der eines Staatschefs von heute. In Ulm etwa mußte der Leiter des Gemeindepuffs schwören, seiner Stadt "getrew und hold ze sind", ihren "nutz und frumen zu furdern" und allen "schaden zu warnen und zu wenden".

Gegenstand steter Sorge war die Bereithaltung eines ausreichenden Kontingents. Gab es in der Bischofsstadt Würzburg anfangs nur einen einzigen Gemeinschaftsraum, so konnte München schon mit zwölf abschließbaren Kammern aufwarten. Der Ulmer Frauenhauswirt hatte sich verpflichtet, "zu keiner Zeit unter vierzehen Frawen nit zu haben". Nürnberg hielt mit 24 Frauen den damaligen Rekord.

In Zeiten erhöhter Nachfrage, etwa bei Messen, Jahrmärkten, Reichstagen oder Konzilien, konnte das Stammpersonal rasch durch "varende Frawen" aufgestockt werden. Oft schon zeugten die Namen vom kosmopolitischen Zuschnitt des Nachschubs: Klein Enchen von Eger, Ketha von Wildeshain, Hedwig Schlesierin, Gryta Frankin oder Katharina von Meißen.

Während des Konzils von 1414 bis 1418 in Konstanz waren zeitweise bis zu 1500 Prostituierte zugegen. Auch beim Reichstag von 1394 in Frankfurt entfielen auf die 300 Delegierten nicht weniger als 800 Dirnen. Ein Delegierter aus Straßburg notierte nach seinem Bordellbesuch: "Tut dreißig Pfennig."

Der Politiker hatte des Guten offenbar zuviel getan. Denn die Tarife im Lande bewegten sich zwischen 2 Pfennig (Nördlingen), 3 Pfennig (Konstanz, Nürnberg) bis höchstens 6 Pfennig (München). Ein Tagelöhner verdiente ungefähr 8 Pfennig, ein Handwerksgeselle bis zu 20 Pfennig pro Tag. Buchautor Schuster folgert: Ein Bordellbesuch war damals "durchaus auch häufiger erschwinglich" und konnte "selbst von einem Tagelöhner aus dem ,Cash-flow' bestritten werden".

Zwar standen den Kommunalhuren des Mittelalters zwei Drittel der Einnahmen zu, doch reich ist nach den Archivaufzeichnungen kaum eine geworden; 1495 vermachte eine Dresdner Frauenhäuslerin der örtlichen Kreuzkirche ihr gesamtes Vermögen: 11 Groschen. Eine in Quedlinburg erschlagene Dirne hinterließ der Stadtkirche immerhin 5 neue Schock, was in etwa 300 Groschen entsprach - oder 50 Tagelöhnen eines Knechtes.

Im Nachlaß einer Hamburger Prostituierten fand man sogar 124 Pfund - das war mehr als alle städtischen Einnahmen aus dem Bordellwesen binnen zehn Jahren. Doch Geld und Rentabilität waren den Kommunen bei ihren Liegenschaften ohnehin nicht wichtig. München ließ 1433 sogar programmatisch festschreiben, daß der Stadt "kein gult noch zins gevallen" solle, es sei denn, was das Frauenhaus "ze pawen und ze pesseren kostet".

Prostitution war zuweilen Teil der kommunalen Verkehrsplanung. In Augsburg zum Beispiel wurden die zwei Frauenhäuser vor dem Göggingertor gezielt so plaziert, daß der Fernverkehr zum Bodenseegebiet, in die Schweiz und nach Frankreich gefiltert und absorbiert werden konnte. Schuster: "Eine stadtplanerische Glanzleistung.“

(weiter gehts im nächsten Post)
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Hurerei - History - von Elmar2000 - 14.02.2011, 01:28
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